Wie ich zum Wahrsagen kam
Ich bin zum Wahrsagen gekommen, als ich vor drei Jahrzehnten als Grundschülerin mit meiner Mutter, meiner Großmutter und meiner Urgroßmutter zusammensaß. Es war Silvester, aus irgendeinem Grund waren wir vier weiblichen Verwandten allein. „Machst du’s wieder?“, fragte meine Uroma, und meine Oma nickte. Meine Mutter holte aus der hintersten Ecke des Küchenschranks abgewetzte Spielkarten, die ich noch nie gesehen hatte. „Spielen wir Mau-Mau?“, fragte ich hoffnungsvoll, denn es war langweilig mit den Erwachsenen, die so viel älter waren als ich. Aber die drei hörten mich nicht.
Tarot-Karten
Auf den Karten waren auch nicht die Kartensymbole, die ich kannte. Es waren Menschen abgebildet, die Dinge hielten, posierten, auf einer Karte war jemand aufgehängt. Ich wunderte mich immer mehr. Aber die drei Frauen waren so mit den Karten beschäftigt, dass ich auf alles Fragen keine Antwort bekam. Meine Oma legte die Karten aus, forderte ihre Mutter auf, Karten zu ziehen. Sie legte insgesamt zehn Karten hin, studierte sie lange und sagte dann: „Das neue Jahr bringt dir viel Geld. Das sehe ich an den Münzen hier. Außerdem bleibst du gesund, bis auf eine Erkältung. Das sagen diese Karten. Und es bahnt sich eine Versöhnung an. Da, die beiden Liebenden.“
Meine Uroma nickte zufrieden und fragte meine Mutter, ob sie sich nicht auch die Karten legen lassen wollte. Sie verneinte. „Ich will aber“, sagte ich. Nun galt ihre Aufmerksamkeit endlich mir. Meine Oma und meine Mutter wechselten einen Blick, beide zuckten mit den Schultern und ich durfte die geheimnisvollen Karten berühren. Mein Oma mischte sie, hob sie ab, wies mich an, Karten zu ziehen und auszulegen. Dann sah sich diese eine Zeitlang stumm an und sagte: „Ich sehe eine gute Freundschaft, ein gutes Zeugnis und tolle Ferien. Aber das mit den Ferien dauert noch.“
Ich war begeistert und den Rest des Abends völlig aufgedreht. Alles, was meine Oma gesagt hatte, traf auch so ein. In den Sommerferien hatte ich meine Mutter überredet, mir das Tarotkartenspiel zu überlassen.